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Ist die Medienberichterstattung über den Ukraine-Krieg zu einseitig?

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Ist die Medienberichterstattung über den Ukraine-Krieg zu einseitig?

Zur deutschen Ukraine-Berichterstattung wurden im letzten Jahr einige kritische Stimmen laut: Nicht nur mangle es dieser an Meinungsvielfalt, sie sei auch regierungsfreundlich und würde die militärische Unterstützung der Ukraine durchgängig befürworten. Aber sind diese Angriffe auf den Journalismus gerechtfertigt? Eine Studie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) hat die „Qualität der Medienberichterstattung über den Ukraine-Krieg“ untersucht. Sie kann nun anhand von wissenschaftlich ermittelten Ergebnissen aufzeigen, ob die Vorwürfe – die bisher nur auf subjektiven Eindrücken Einzelner fußten – zutreffend sind. Dazu wurde eine Inhaltsanalyse von rund 4.300 Beiträgen, die in den ersten drei Kriegsmonaten erschienen sind, in acht deutschen Leitmedien durchgeführt.

Die Ergebnisse zeigen, dass der Krieg hauptsächlich aus der Perspektive Deutschlands dargestellt wurde: Personen aus der Politik (80 Prozent aller Akteursnennungen) und dabei speziell deutsche Politikerinnen und Politiker und Parteien (21 Prozent) dominierten die Berichterstattung. Die Medien zeigten sich jedoch nicht besonders regierungsfreundlich, sondern vielmehr sehr kritisch. Besonders viel Kritik erfuhr Bundeskanzler Scholz, für den unter Berücksichtigung der ermittelten positiven und negativen Bewertungen ein negatives Saldo von minus 31 Prozent berechnet wurde. Auch die Regierung insgesamt (–26 Prozent) sowie Verteidigungsministerin Lambrecht (–35 Prozent) wurden in den Leitmedien insgesamt schlecht bewertet. Besonders die Bild-Zeitung und der Spiegel haben den Ergebnissen nach die Bundesregierung und den Kanzler kritisiert. Die Studienautoren halten allerdings fest, dass die mediale Beurteilung von Kanzler Scholz im Zeitverlauf stark schwankte: Diese war zu Kriegsbeginn positiv, erreichte jedoch Mitte April – während der Diskussionen um die Lieferung von Waffen und einen möglichen Kiew-Besuchs des Bundeskanzlers – ihren negativen Tiefpunkt.  Besonders positiv wurden im Übrigen nur Außenministerin Annalena Baerbock (68 Prozent positive Bewertungen) und, ein wenig abgeschlagen, Wirtschaftsminister Robert Habeck (19 Prozent) wahrgenommen.

Als russische und ukrainische Personen aus der Politik kamen fast ausschließlich Putin (7,4 Prozent) und Selenskyj (3,5 Prozent) in den untersuchten deutschen Medien vor. Dabei hatten russische Agierende fast doppelt so viel Medienpräsenz wie jene aus der Ukraine. Auffallend positiv wurde der ukrainische Präsident Selenskyi (67 Prozent) bewertet, wohingegen sein russisches Pendant nahezu gänzlich negativ wahrgenommen wurde (–96 Prozent). Auch wurde letzterer in fast allen untersuchten Artikeln (93 Prozent) als Alleinverantworter des Krieges betrachtet.

Wo sich die Medien mit möglichen Maßnahmen zur Beendigung des Krieges auseinandersetzten, wurden wirtschaftliche Sanktionen am häufigsten genannt und als sinnvoll betrachtet (93 Prozent), wohingegen wesentlich seltener diplomatische Maßnahmen zur Konfliktlösung genannt und als fruchtbringend dargestellt wurden (43 Prozent). Die militärische Unterstützung der Ukraine wurde ebenso oft genannt und häufig als positiv (74 Prozent) gesehen. Die Lieferung schwerer Waffen wurde zwar selten thematisiert, aber, wenn das Thema angesprochen wurde, auffallend oft befürwortet (66 Prozent). Besonders selten Gegenstand der Berichterstattung waren im Übrigen humanitäre Maßnahmen; wobei diese jedoch nahezu immer als sinnvoll erachtet wurden (96 Prozent).

Das Fazit der Studienautoren zeigt sich differenziert: Zwar sei die Berichterstattung in einigen Fällen „gar nicht einheitlich und schon gar nicht regierungsfreundlich“ ausgefallen. Einheitlichkeit habe es in Bezug auf die Zuschreibung der Kriegsverantwortung an Russland gegeben, dies sei jedoch „wenig verwunderlich“. Überraschender fällt für die Autoren die oft als positiv bewertete und als überwiegend sinnvoll – und dabei auch als sinnvoller als diplomatische Maßnahmen – dargestellte Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine aus – „vor allem vor dem Hintergrund vergleichbarer früherer Kriege, in denen deutsche Waffenlieferungen gar nicht zur Debatte standen“, beurteilt dies der Studienleiter Prof. Dr. Marcus Maurer, Professor am Institut für Publizistik der Universität Mainz.

Mit der breit angelegten Studie läge nun „erstmals eine solide Grundlage für die weitere Diskussion über die ˒Qualität der Medienberichterstattung͗ zum russischen Angriffskrieg vor, die nicht auf persönlichen Eindrücken beruht oder auf individuellen Mutmaßungen fußt“, fasst Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung, die Ergebnisse zusammen.

Für Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung, liegt mit dieser breiten Material- und Datenanalyse erstmals eine solide Grundlage für die weitere Diskussion über die „Qualität der Medienberichterstattung“ zum russischen Angriffskrieg vor, die nicht auf persönlichen Eindrücken beruht oder auf individuellen Mutmaßungen fußt.

Für die von der Otto Brenner Stiftung geförderten Studie wurde im Zeitraum 24. Februar bis 31. Mai 2022 die deutsche Berichterstattung zum Ukraine-Krieg untersucht. Analysiert wurden Beiträge in: FAZ, Süddeutsche Zeitung, Bild, Zeit, Spiegel, ARD-Tagesschau, ZDF Heute und RTL Aktuell.

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Pressemitteilung: Medien plädieren überwiegend für Waffenlieferungen an die Ukraine und sehen die deutsche Regierung kritisch | Otto Brenner Stiftung (otto-brenner-stiftung.de)

Studie: Die Qualität der Medienberichterstattung über den Ukraine-Krieg (otto-brenner-stiftung.de)

 

 


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