Der Frauenanteil im Journalismus steigt in Deutschland seit vielen Jahren – doch die Chefetagen der Redaktionen sind nach wie vor überwiegend von Männern besetzt. Woran liegt das? Und was müsste getan werden, damit sich das ungleiche Machtverhältnis zwischen Männern und Frauen ändert? Diesen Fragen ist eine aktuelle Studie von ProQuote Medien nachgegangen.
Die Studienautorinnen haben in einer qualitativen Untersuchung 30 Interviews mit führenden Journalistinnen regionaler und überregionaler Medien geführt. Ziel war es, neuralgische Punkte in ihren Berufsbiografien zu identifizieren, die strukturell bedeutsam für Erfolg oder Misserfolg in Karrieren von Frauen sind.
Überblick: Arbeitssituation für Journalistinnen in Deutschland
Als Ausgangspunkt wurde zunächst die allgemeine Arbeitssituation deutscher Journalistinnen genommen. Dazu wurde ein Datensatz aus der deutschen Teilstudie der repräsentativen Befragung von Medienschaffenden „Worlds of Journalism“ herangezogen, den das Leibniz-Institut für Medienforschung ProQuote Medien zur Verfügung stellte. Die Auswertung zeigte, dass der über Jahre gewachsene Frauenanteil im Journalismus insgesamt bei rund 44 Prozent liegt – dem stehen rund 56 Prozent Männer gegenüber. Frauen sind tendenziell etwas höher gebildet als ihre männlichen Kollegen; bei den Abschlüssen einer journalistischen Ausbildung liegen beide Geschlechter in etwa gleichauf.
Hinsichtlich der beruflichen Situation zeigt sich, dass weibliche Medienschaffende häufiger von prekären Faktoren wie befristeten Arbeitsverhältnissen, Teilzeitarbeit und Freiberuflichkeit ohne feste Anbindung an eine Redaktion betroffen sind. Dies spiegle sich auch in der Einkommenssituation wider: Journalistinnen verdienen im Schnitt mehrere hundert Euro weniger als männliche Medienschaffende.
Besonders wenige Frauen in Führungspositionen bei Regionalzeitungen und Leitmedien
Und wer sitzt in den Chefsesseln der Redaktionen? Hier zeigt die Gesamtaufteilung nach redaktionellem Rang, dass in den Top-Positionen 17 Prozent Männer immerhin 13 Prozent Frauen gegenüberstehen. Eine Aufteilung nach Mediengattungen, die ProQuote Medien vorgenommen hat, zeigt jedoch eklatante Unterschiede in den einzelnen Segmenten: So liegt der Führungsanteil von Frauen bei Zeitschriften mit rund 40 Prozent am höchsten; gefolgt von Online-Medien (rund 28 Prozent) vor Agenturen und Zentralredaktionen (25 Prozent). Die wenigsten Frauen in Führungspositionen finden sich in Leitmedien (rund 18 Prozent) und Regionalzeitungen (rund 13 Prozent).
Auffällig ist, dass sich die Karriereverläufe von Frauen und Männern im Journalismus vor allem im Alter zwischen 30 und 39 Jahren unterscheiden. In dieser Zeit übernehmen Männer deutlich häufiger redaktionelle Führungspositionen. Gleichzeitig sind weibliche Medienschaffende stärker in die Care-Arbeit – zum Beispiel Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen – eingebunden als ihre männlichen Kollegen.
Zusammenfassung: „Neuralgische Punkte“ auf den Karrierewegen von Frauen
Die Auswertung der Leitfadeninterviews zeigt, dass Frauen längere Entscheidungsphasen benötigen, um neue Aufgaben zu übernehmen. Dies basiere auf einer stärker ausgeprägten Selbstreflexion – bzw. haben viele auch Selbstzweifel. Ein wichtiges Thema bleibt für viele die (Un-)Vereinbarkeit von Familie und Beruf, obwohl hier Verbesserungen festgestellt werden. Und als weiteren Punkt benennen die Studienautorinnen die (mangelnde) Sichtbarkeit von Frauen: Diese seien oft zurückhaltender oder eine männliche Redaktionskultur erschwere es ihnen, sich zu positionieren.
Aus den Ergebnissen leiten die Autorinnen Handlungsempfehlungen ab, die darauf abzielen, Frauen strukturell zu fördern und die Vereinbarkeit und Unternehmenskultur in Medienunternehmen zu verbessern. Dazu gehöre die institutionelle Stärkung von Frauen, z. B. durch Netzwerke oder Mentoring; ein Festschreiben von Geschlechterparität auf Führungsebene sowie die Verbesserung der Vereinbarkeit von Karriere und Privatleben/Familie – etwa durch eine Unterstützung bei Care-Aufgaben, z. B. durch Betriebskitas. Darüber hinaus sollten den Führungskräften moderne Arbeitsmodelle zur Verfügung stehen, die ihnen z. B. flexibles Arbeiten ermöglichen. Die Autorinnen empfehlen außerdem, Gehaltsstrukturen transparent zu gestalten, um Chancengleichheit durch faire Entlohnung von Männern und Frauen zu fördern.