Logo DJA

Journalismus-Lexikon

Positiver Journalismus

Positiver Journalismus

Warum hast du dich für den Journalismus entschieden? Junge Journalismusstudierende geben häufig an, dass ihre Berufswahl auf dem Wunsch basiert, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Die hohen beruflichen Ideale des Journalismus – eine neutrale und objektive Instanz, die ständig nach Wahrheit sucht – tragen zum sozialen Ansehen und zur Bedeutung von Journalistinnen und Journalisten bei. Entsprechend wimmelt die Geschichte des westlichen Journalismus von mehr oder weniger legendären Beispielen für Enthüllungen von Korruption und Skandalen – von den Muckrakers im frühen 20. Jahrhundert bis hin zum modernen Investigativjournalismus.

Die Funktion einer vierten Gewalt zu erfüllen, ist jedoch nicht der einzige Weg, wie Nachrichtenjournalismus Wirkung entfalten kann. Human-Interest-Geschichten (einfühlsame Berichte über Menschen, die von Krieg, Armut, Krankheit oder Naturkatastrophen betroffen sind) stehen beim Publikum ähnlich hoch im Kurs. Indem sie den Schwachen eine Stimme und ein Gesicht geben, ihre Schicksale schildern und meist traurige Geschichten erzählen, greifen Reporter demokratische Ideale wie Solidarität und Mitgefühl auf und übernehmen eine doppelte Rolle: als Sprachrohr und Repräsentant der Allgemeinheit. Obwohl sie in vielerlei Hinsicht das Gegenteil von faktenorientierter Investigativrecherche darstellen, verfolgen Human-Interest-Geschichten doch dasselbe Ziel: die Welt zum Besseren zu verändern. Doch bleibt die Frage: Ist Journalismus damit erfolgreich?

Wenn man den Effekt auf Machthabende und politische Entscheidungsträger als Maßstab nimmt, haben sich die Erfolgsaussichten verbessert. Investigativer Journalismus wird durch datenbankgestützte Recherchen immer professioneller, und soziale Medien bieten neue Möglichkeiten für problemorientierten Dialog mit der Öffentlichkeit. Diese Entwicklungen stärken die journalistische Wirkung. Doch wenn die politischen oder sozialen Effekte nicht ausreichen, um die negativen emotionalen Wirkungen der Berichterstattung zu überlagern – und wenn weder Investigativjournalismus noch Human-Interest-Berichte Optimismus oder Hoffnung vermitteln – bleibt die Frage weiterhin offen. Was sagt die Forschung dazu?

 

Das Negative ausbalancieren

Forschende sind sich seit Langem einig: Nachrichten mit negativem Fokus dominieren die Mainstream-Berichterstattung. Auch wenn die Glasgow Media Group in den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren mit Studien wie Bad News, More Bad News und Really Bad News zunächst umstritten war, wurden ihre Ergebnisse durch viele spätere Inhaltsanalysen in verschiedenen Ländern bestätigt. Der Hang zum Negativen ist tief im traditionellen Nachrichtenverständnis verwurzelt – schlechte Nachrichten gelten als besonders berichtenswert.

Ein neueres Konzept namens Positive oder Konstruktiver Journalismus versucht, alternative Perspektiven in die Nachrichten zu bringen – inspiriert von der positiven Psychologie, einem erfolgreichen Forschungszweig der Verhaltenswissenschaften. Ziel dieser Psychologie ist es, Wege zu mehr Wohlbefinden, Resilienz und Lebensfreude im Alltag aufzuzeigen. Negative Emotionen wirken stärker und anhaltender als positive – daher ist es entscheidend, positive Impulse bewusst zu fördern. Genau hier setzt konstruktiver Journalismus an: Er will der Ohnmacht entgegenwirken, die oft mit täglichem Nachrichtenkonsum einhergeht, und stattdessen ein emotional ausgewogeneres Bild vermitteln – zum Beispiel durch Berichte über Lösungen statt nur über Probleme.

Die dänische Journalistin Cathrine Gyldensted führte 2011 eine Studie durch, in der Probanden eine Standardnachricht und fünf alternative Versionen lasen. Ergebnis: Die klassische Nachricht, besonders Varianten mit vielen negativen Begriffen oder Opfernarrativen, lösten negative Gefühle aus. Varianten, die sich an der positiven Psychologie orientierten, wirkten hingegen emotional positiver. Da Opfernarrative und Negativsprache zum Standard vieler Beiträge gehören, folgert Gyldensted: Wer regelmäßig Nachrichten liest, fühlt sich oft schlecht. Wie passt das zu journalistischen Idealvorstellungen?

 

Denken und Handeln im positiven Journalismus

Positive Journalistinnen und Journalisten haben zwei Handlungsebenen:

Erstens: Gute Nachrichten gezielt suchen und berichten – als Ausgleich zur Dauerberichterstattung über Krieg, Kriminalität und Krisen. Dies ist das Konzept von Plattformen wie goodnewsnetwork.org, das seit 1997 positive Nachrichten sammelt und verbreitet. Auch große Medien wie Huffington Post, ABC News, der Guardian oder große Tageszeitungen weltweit führen inzwischen Rubriken für gute Nachrichten ein. Das könnte zu einer neuen Definition von Nachrichten führen.

Zweitens: Berichterstattung bewusster gestalten – also nicht nur mehr positive Worte einbauen oder Opfernarrative vermeiden. Inhalt und Form wirken hier zusammen. Gyldensted zeigte, dass folgende Ansätze positive Effekte erzeugen:

 

  • Ein Verhältnis von 3:1 zwischen positiven und negativen Begriffen,
  • Heldengeschichten über Mitgefühl, moralisches Handeln oder mentale Stärke,
  • die sogenannte „Peak-End-Regel“: Höhepunkt und Ende bestimmen die emotionale Wirkung.

Solche Erzählformen sind noch selten, lassen sich aber leicht in Ausbildung und Redaktionen einbauen. Vorreiter sind z. B. Positive News (UK, auch als Printausgabe) oder weekendleader.com (Indien). Auch Netzwerke wie transformationalmediainitiative.org oder solutionsjournalism.org fördern lösungsorientierte Perspektiven.

 

Positiver Journalismus und Demokratie

Zurück zur Grundsatzfrage: Ist positives Erzählen mit dem Auftrag des Journalismus vereinbar? Immerhin basiert die gesellschaftliche Rolle des Journalismus auf kritischer Kontrolle. Wenn Redaktionen bewusst auf das „Übliche“ – Katastrophe, Krise, Korruption – verzichten, verlieren sie dann an Glaubwürdigkeit?

Historisch gesehen gibt es keinen Anlass zur Sorge: Der Journalismus hat sich immer wieder erfolgreich an neue Realitäten angepasst. Die Vorstellung, nur schlechte Nachrichten seien „echte“ Nachrichten, ist überholt. Im Gegenteil: Konstruktive Perspektiven können das Verantwortungsgefühl der Öffentlichkeit stärken – und damit die demokratische Funktion des Journalismus festigen.

 

Autorin: Dr. Kristina Widestedt

 




zurück zum Lexikon
WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner