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Journalismus-Lexikon

Comic-Journalismus

Comic-Journalismus

Comic-Journalismus oder Comics-Journalismus ist ein innovatives Genre der Nachrichtenberichterstattung, das Text und Bild auf neue Weise kombiniert. Anders als klassische Cartoons oder Karikaturen geht es dabei nicht um Humor, sondern um ernsthafte journalistische Berichte – erzählt in einem sequentiellen, visuellen Format. Die Grundfrage, die sich stellt: Ist das noch Journalismus – oder nur illustriertes Erzählen?

 

Ursprung und Entwicklung

Comics-Journalismus hat seine Wurzeln in politischer Karikatur und Graphic Novels. Bereits im 19. Jahrhundert nutzten Magazine wie Harper’s oder die Illustrated London News Bilder zur Ergänzung journalistischer Texte. Diese waren allerdings stets Beiwerk. Erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts – verstärkt durch Graphic Novels wie Art Spiegelmans Maus – wurde das Erzählen mit Bildern zur Hauptform der Darstellung. Das Internet und digitale Distributionswege haben diese Entwicklung beschleunigt.

 

Definition und Charakter

Laut Dan Archer ist Comics-Journalismus ein Oberbegriff für alle Formen von Berichterstattung, die Worte und Bilder gleichwertig kombinieren – nicht nebeneinander, sondern miteinander verwoben. Josh Kramer beschreibt ihn als die Verbindung von „realen Geschichten über reale Menschen mit erzählerischer Kreativität“. Es geht nicht um Comics mit Pointe, sondern um narrativen Journalismus mit Tiefe – der Unterschied liegt in der journalistischen Ernsthaftigkeit.

 

Abgrenzung zu anderen Formaten

Comics-Journalismus ist nicht dasselbe wie Bürgerjournalismus (der von Laien allein betrieben wird) oder Public Journalism (der Anliegen der Bürger berücksichtigt, aber professionell bleibt). Der Comics-Journalismus basiert auf echter Recherche, Interviews und Fakten – ergänzt durch künstlerische Darstellung. Das Ziel ist kein Gag, sondern Erkenntnis.

 

Besonderheiten des Genres

Charakteristisch ist:

 

  • Visuelles Erzählen: Bild und Text bilden eine Einheit.
  • Subjektivität: Comics-Journalisten zeigen oft klar ihre Perspektive.
  • Charakterorientierung: Geschichten werden aus Sicht konkreter Figuren erzählt.
  • Internationalität: Themen und Quellen sind oft global angelegt.

Berichte werden häufig durch persönliche Erfahrungen, kulturelle Einflüsse und emotionale Verbindungen geprägt. Kritiker bemängeln mangelnde Objektivität – doch Comic-Journalisten kontern, dass auch klassischer Journalismus durch institutionelle Strukturen geprägt sei. Das „objektive Bild“ sei eine Illusion.

 

Praktische Umsetzung

Comics-Journalismus erfordert drei Kernkompetenzen:

 

  • Journalistische Fähigkeiten (Recherche, Verifikation, Quellenarbeit),
  • Erzählerisches Talent (dramaturgischer Aufbau, Figurenentwicklung),
  • Zeichnerische Umsetzung (Grundkenntnisse reichen aus).

Der Produktionsprozess umfasst:

 

  • Themenwahl, Fragestellungen, Recherche,
  • Feldarbeit, Interviews, visuelle Notizen,
  • Aufbau der Geschichte durch sogenannte „String-outs“ – also Handlungsstränge der Hauptfiguren,
  • visuelle Umsetzung als Panel-Sequenz („Storyboard“),
  • Anwendung filmischer Mittel (z. B. Perspektivwechsel, Nahaufnahme, Rückblende).

Wichtig ist, reale Aussagen und Szenen nicht zu verfälschen. Figuren im Comic stehen für reale Personen, deren Aussagen authentisch wiedergegeben werden müssen. Visualität dient der Strukturierung, nicht der Verzerrung.

 

Formen des Comics-Journalismus

Es gibt drei Haupttypen:

 

  • Einzelautoren, die alles selbst machen (z. B. Joe Sacco),
  • Kollaborationen zwischen Journalisten und Zeichnern,
  • Dokumentarische Comic-Formate, die größere gesellschaftliche Themen behandeln (Religion, Krieg, Medizin).

Zu den bekanntesten Comic-Journalisten gehören Art Spiegelman, Marjane Satrapi (Persepolis), Josh Neufeld, Alison Bechdel, Claudia Calia und Gianluca Costantini.

 

Gesellschaftliche Relevanz

Comics-Journalismus eignet sich besonders zur Darstellung komplexer, emotionaler oder visuell schwer greifbarer Themen. Beispiele sind Klimawandel, Krieg und Konflikte, soziale Bewegungen sowie Migration und Minderheiten.

In Ländern wie Japan (Manga-News) oder Indien (World Comics India) hat sich Comics-Journalismus als fester Bestandteil öffentlicher Diskurse etabliert – oft mit pädagogischem Anspruch oder aktivistischer Zielsetzung.

Kritik und Debatten

Der häufigste Vorwurf lautet: Comics-Journalismus sei subjektiv und daher unprofessionell. Doch auch Fotos können manipuliert, Texte einseitig geschrieben und Quellen gezielt ausgewählt werden. Comics-Journalismus enttarnt diese Subjektivität offen und nutzt sie bewusst.

Viele Zeichner integrieren sich selbst als Figur ins Geschehen – als Signal: „Dies ist eine persönliche Sicht, aber dennoch sorgfältig recherchiert.“ Damit reflektiert Comics-Journalismus seine eigenen Grenzen – und zugleich die der klassischen Presse.

 

Fazit

Comics-Journalismus ist eine ernsthafte, originelle und visuell kraftvolle Form der Berichterstattung. Er eignet sich besonders für komplexe Inhalte in der digitalen Welt und verbindet erzählerische Tiefe mit visueller Ausdruckskraft. Auch wenn es noch Vorbehalte gibt, ist Comics-Journalismus längst Teil der journalistischen Realität – und eine spannende Perspektive für die Zukunft der Nachrichtenerzählung.

 

Autorin: Prof. Dr. Kerric Harvey.



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