Churnalismus
Das Medienphänomen, das wir heute als Churnalismus bzw. Churnalism kennen, wird meist als die absichtliche Veröffentlichung oder Ausstrahlung einer Pressemitteilung – oder eines vergleichbaren Schreibens aus nicht-journalistischer Quelle – beschrieben, wobei der journalistische Beitrag kaum oder gar keine Änderungen, Ergänzungen oder Faktenüberprüfungen enthält.
Wie das Wortspiel im Namen andeutet, handelt es sich dabei um ungeprüftes Material, das von Medienanstalten im Eiltempo „herausgeschleudert“ („churned“) wird – unter dem Deckmantel legitimen Journalismus –, um den steigenden Bedarf an Inhalten unter hohem Termindruck zu decken.
Ursachen und historische Entwicklung
Das Internet hat entscheidend zur Verbreitung von Churnalism beigetragen – nicht nur, weil es den Medien einen einfachen Zugang zu einer Vielzahl von Inhalten ermöglicht, die sich per Copy & Paste direkt in scheinbar seriöse Nachrichtenbeiträge einfügen lassen, sondern auch, weil es eine multiplattformfähige Infrastruktur bereitstellt, die sowohl den Bedarf an Inhalten erzeugt als auch bedient.
Churnalism ist daher ein relativ neues Forschungsfeld, das bislang von wenigen Wissenschaftlerinnen und Medienkritikerinnen behandelt wurde. Obwohl der Begriff erst 2008 vom britischen Journalisten Nick Davies geprägt wurde, ist die Praxis selbst keineswegs neu – unbestätigte „Nachrichten“ haben seit jeher ihren Weg in die Zeitungen gefunden.
Doch moderne Technologien und digitale Plattformen haben das verfügbare Volumen an Nachrichtenflächen massiv erhöht – während gleichzeitig Redaktionen durch Sparmaßnahmen personell ausgedünnt wurden. Dieses Ungleichgewicht führt zu einer wachsenden Lücke zwischen dem Raum für Inhalte und den vorhandenen journalistischen Ressourcen – also zu idealtypischen Bedingungen für Churnalism.
Nachricht vs. Pressemitteilung
Eine der Grundvoraussetzungen für seriösen Journalismus ist die Verifizierung aller Namen, Zitate und Fakten – idealerweise mehrfach –, bevor eine Information veröffentlicht wird.
Pressemitteilungen hingegen sind bewusst gestaltete Mitteilungen, die mit PR-Zwecken an Medienhäuser verschickt werden. Sie erheben keinen Anspruch auf journalistische Objektivität und folgen daher auch nicht deren Regeln.
Obwohl Pressemitteilungen im journalistischen Alltag eine Rolle spielen – sie werden aufgrund ihrer Formatierung häufig sogar begrüßt, weil sie vorgefertigte Zitate und Hintergrundinformationen liefern –, darf man nicht vergessen: Ihr einziger Zweck ist Selbstdarstellung. Sie sollen gezielt bestimmte Botschaften vermitteln und ein positives Bild der herausgebenden Organisation – sei es ein Unternehmen, ein Konzern oder eine Behörde – vermitteln.
Aufgemacht wie echte Nachrichtenartikel, mit zugespitzten Einleitungen und klangvollen Zitaten, präsentieren sich viele Pressemitteilungen bereits wie druckfertige Artikel. Die Kommunikationsabteilungen, die sie erstellen, wissen: Je mehr ihre Texte einer authentischen Nachricht ähneln, desto größer ist die Chance, dass gestresste Redakteure sie ohne gründliche Prüfung und ohne weitere Quellen zu Rate zu ziehen übernehmen. So gelangen täglich zahlreiche Beispiele für Churnalism in den regulären Medienstrom.
Theoretischer Hintergrund und aktuelle Beispiele
Nick Davies prangert in seinem Buch die wachsende Routine an, nicht verifizierte Inhalte zu veröffentlichen, und kritisiert nicht die einzelnen Journalisten, sondern deren Arbeitgeber.
Medienunternehmen zwingen ihre oft kompetenten Mitarbeitenden dazu, so viele Geschichten in so kurzer Zeit zu produzieren, dass gründliche Recherche und ausgewogene Berichterstattung schlicht unmöglich werden.
Ein Beispiel: Eine junge Journalistin berichtete Davies, dass sie an einem einzigen Tag bis zu 13 Artikel schreiben und veröffentlichen musste – aber nur mit sechs Personen sprechen konnte. Über die Woche verteilt schrieb sie 48 Beiträge, sprach mit 26 Personen, davon nur vier im persönlichen Gespräch. Nur drei Stunden ihrer 45,5-Stunden-Woche verbrachte sie außerhalb des Büros – ein Beleg für die fabrikartige Taktung in modernen Redaktionen, bei der Geschwindigkeit wichtiger ist als Genauigkeit.
Auch andere Autoren bestätigen diese Einschätzung: In einer Welt mit 24-Stunden-News-Zyklen und ständig aktualisierten Websites bleibt kaum Zeit zur Verifizierung, während gleichzeitig die Erwartung besteht, ständig neue Inhalte zu liefern.
Journalisten arbeiten heute nicht mehr auf eine tägliche Redaktions- oder Sendefrist hin – sondern schreiben und posten im Minutentakt, mit einem Auge immer auf der Uhr.
Öffentliche Reaktionen auf Churnalism
Es lässt sich argumentieren, dass die Verbreitung von kopierten Presseinhalten aus PR-Agenturen und anderen zweifelhaften Quellen zu einer Verwässerung journalistischer Standards und einer geringeren Wertschätzung für gründlich recherchierte, originelle und ausgewogene Berichterstattung geführt hat.
Gleichzeitig gibt es Initiativen, um Churnalism sichtbar zu machen und zu bekämpfen. Bestimmte Plattformen ermöglichen es Lesern, Artikel zu analysieren, um festzustellen, ob es sich um originelle Berichterstattung oder kopiertes Material handelt.
Trotz solcher Bemühungen scheint Churnalism eine zukunftssichere Strategie zu sein: Das stetige Wachstum von Internet und Nachrichtenkanälen, der Einfluss von PR-Abteilungen, der Personalabbau in Redaktionen und die Umstellung auf Multiplattformformate schaffen ideale Voraussetzungen für die Fortsetzung dieser Praxis.
Für die Medienforschung hingegen bietet Churnalism zahlreiche Chancen: Als neues, bislang wenig erforschtes Thema dürfte es in Zukunft verstärkt in den Fokus von Debatten und wissenschaftlicher Analyse rücken – insbesondere aufbauend auf den Grundlagen, die Nick Davies gelegt hat.
Autor: Prof. Dr. Wayne Larsen